Observer Gutachten 2012 - very british
Seit der Entscheidung des OLG Köln (
Az. 6 W 242/11) ist in aller Munde, dass die Messlatte an einem Auskunftsbeschluss
zur Herausgabe von Verkehrsdaten nach § 101 Abs. 9 UrhG für die Antragsteller höher gesetzt wurde.
OLG Köln (Az. 6 W 242/11):
[...]
Nachdem der Senat hierauf hingewiesen hat, hat der Antragsteller die Kopie einer beglaubigten Übersetzung eines
Gutachtens, das der Übersetzerin als Computerdatei vorgelegen hatte, beigebracht. Auf den Hinweis des Senats, einer
solchen Kopie komme allenfalls ein geringer Beweiswert zu, hat der Antragsteller die Vernehmung des Geschäftsführer
der H. angeboten und die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt. Für beides besteht indes keine Veranlas-
sung:
Die angebotene Vernehmung des Geschäftsführers der H. ist nicht geeignet, die Zuverlässigkeit der Ermittlung der Rechts-
verletzungen durch die Software "Observer" festzustellen. Denn die Zuverlässigkeit lässt sich nicht auf der Grundlage
der Wahrnehmungen des Zeugen beurteilen. Vielmehr ist hierfür eine Untersuchung der Software durch einen unabhängigen
Sachverständigen erforderlich.[...]
Aufgrund vorliegender Akteneinsichten zum LG Köln Beschluss vom 08.03.2012 (Az. 224 O 31/12) wird ersichtlich, das zur
Glaubhaftmachung des offensichtlichen Rechtsverstoßes immer noch das englische Sachverständigengutachten i.V.m. der
deutschen Übersetzung und der Aussage des LG Köln (Az. 224 O 394/11) hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Software der
Firma GuardaLey Ltd. "Observer" als gerichtsbekannt (was immer dieses für eine Beweiskraft erzeugt) angesehen hat, zur
Herausgabe der Verkehrsdaten ausreicht.
AW3P hat sich dieses englische Gutachten des
Herrn Clement Charles Vogler und die deutsche Übersetzung genauer angeschaut
und hierzu Herrn Dr. Rolf Freitag befragt:
Herr Dr. Rolf Freitag, was halten Sie von dem very britsh Obeserver-Gutachten.
Aussagekräftig, neuer englischer Gutachter-Wind oder Mogelpackung?
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Dr. Rolf Freitag
- => 08.12.1968 Geboren in Cuxhaven an der Elbe;
=> 1975-1989 Grundschule, Gesamtschule, Hauptschule, höhere Handelsschule, Fachgymnasium Technik, Teilnahmen bei "Jugend Forscht";
=> 1990-1996 Physik-Studium an der Uni Bremen, Diplom-Arbeit: Diffusive dynamische Lichtstreuung von Substanzen am kritischen Punkt;
=> 1995-2001 Teilzeit-Zusatz-Aufbau-Studium an der Fernuni Hagen:
=> 1997-2001 Promotion an der Uni Ulm: Korrelationsmethoden für hoch dynamische Zeitauflösung in der Foto- und Kathodolumineszenz;
=> 2001 Kryptografics GmbH Nürnberg: Anwendung u. Zertifizierung von echten Zufallszahlengeneratoren;
=> 2002/2004 Daum Electronic GmbH Fürth: Hard- u. Software-Entwicklung zu Ergometern;
=> Seit 2003 CCC-Mitgliedschaft;
=> Seit 2006 - 2010 bei Siemens
=> Seit 2010 Technischer Sachverständiger der Initiative Abmahnwahn-Dreipage.
Herr Clement Charles Vogler mag in England sein, was er will, er verfügt in Deutschland über keinerlei besondere Auszeichnung,
er ist insbesondere kein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger, der nach § 404 ZPO hier herangezogen werden
sollte. Die Parteien können natürlich wen auch immer mit was auch immer beauftragen und das Erhaltene dann amtlich übersetzten
lassen. Das sagt aber zunächst nicht über eine besondere Befähigung desjenigen aus, denn die Gerichte können die Gutachter frei
wählen und auf Qualifikationen müssen sie nicht achten. Deshalb liegen sie manchmal daneben und die Gutachten erweisen sich dann
als unbrauchbar.
In der Sache gib Herr Clement Charles Vogler selbst an, dass
=> er bereits früher mit einem "Sachverständigen" (was auch immer das hier bedeuten mag) des Auftraggebers zusammengearbeitet hat
(S. 4) (das würde zumindest die Besorgnis der Befangenheit begründen),
=> kein Experte für Kryptographie ist (S. 12) (genau das müsste er aber sein, um die hier wesentlichen Aussagen überhaupt sachver-
ständig überprüfen zu können),
=> "Die Synchronisierung der Übertragung über öffentliches Internet ist extrem komplex" (da hat er recht!) und weiter: "Ich bin
kein Experte in diesem Bereich" (S. 40). Genau das müsste er aber sein, um die hier wesentlichen Aussagen überhaupt sachverständig
überprüfen zu können.
Unter diesen von ihm selbst angegebenen Prämissen ist die Aussage seines Gutachtens allerdings nicht ernsthaft verwertbar. Es
entspricht nicht im Ansatz den Anforderungen an ein seriöses Sachverständigengutachten, wenn dieses von einem in wesentlichen
Teilbereichen des Gutachten-Gegenstandes NICHT SACHKUNDIGEN erstellt wird! Ja, es sollte eine Berufsausbildung oder ein universitärer
Abschluss in dem Bereich vorhanden sein und das ist hier nicht der Fall.
Im Wesentlichen hat Herr Clement Charles Vogler lediglich ein paar wenige Funktionstests durchgeführt, und diese noch nicht einmal
unabhängig, sondern immer unter sehr enger Mitwirkung des Auftraggebers. Über die Ergebnisse dieser Tests gelangt er zu Schlussfolgerungen,
die ihm logisch erschienen, ohne dass er auf dem entsprechenden Gebiet Experte war. Selbst diese wenigen Testfälle wurden laut seinen
Angaben mit "recht kleinen Dateien" durchgeführt, was natürlich extrem realitätsfern ist und nicht im Ansatz einem Echt-Betrieb der
Software entspricht. Die an ihn gestellten Fragen wurden nur teilweise beantwortet. Vieles bleibt offen.
Insgesamt sind seine "Untersuchungen" absolut ungeeignet, um eine generelle Fehlerfreiheit der streitgegenständlichen Software zu
belegen. Sie könnten, wenn sie denn unabhängig und korrekt durchgeführt worden wären, HÖCHSTENS die korrekte Funktion der Software
im Rahmen dieser Einzelfalltests feststellen. Da diese Testfälle allerdings nicht im Ansatz Realbedingungen entsprechen, sie nicht
unabhängig und nicht mit dem notwendigen Sachverstand durchgeführt wurden, ist auch diese Aussage nicht haltbar.
Interessant ist, dass Herr Clement Charles Vogler bei seinen wenigen Testfällen und unter ständiger Mitwirkung des Auftraggebers
eine Zeitabweichung von bis zu 2 Sekunden feststellt. Damit, insbesondere im Zusammenhang mit den weiteren problembehafteten
Zeitabgleichen im Providerumfeld (Radius-Protokoll etc.), ist keine sichere Zuordnung von - wie auch immer - erfassten Zeitpunkten/
IP-Adressen zu einem konkreten Anschlussinhaber sichergestellt!
Abschließend ist festzuhalten, dass das "Gutachten" nicht im Ansatz die Kriterien behandelt und abdeckt, die für eine derartige
Untersuchung notwendig wären. Zu den zu betrachtenden Mindestanforderungen verweise ich auf den Artikel des ö.b.u.v. Sachverständiger
für Technik, Systeme und Anwendungen der Informationsverarbeitung sowie Computerforensik Herrn Dipl.-Inf. Holger Morgenstern: "Zuver-
lässigkeit von IP-Adressen-Ermittlungssoftware" in
CR 03/2011 (beim Verlag als PDF für 10,00 EUR erhältlich). Außer einfachen
Funktionstests wurden keine, der dort benannten Kriterien untersucht. Meine Haupt-Kritikpunkte sind, dass weder mit Fakes noch mit
Superfakes getestet wurde und insbesondere das keinerlei Log-Dateien mit einem Sniffer wie Wireshark angelegt werden, die eine
unabhängige Überprüfung zulassen. Ich arbeite ja fast täglich mit Netzwerken und Bussen und dabei ist Grundlage jedes Datenpaket
komplett zu einer Übertragung aufzuzeichnen. Hierbei handelt es sich nämlich um Daten die über die eine Schnittstelle gehen und die
Softwaren auf beiden Seiten des betreffenden Nachrichtenkanals müssen hierbei die Schnittstellen-Spezifikationen einhalten. Wenn da
etwas nicht richtig funktioniert, kann man es hier überprüfen und im Fehlerfall nachweisen, welche Seite Fehler macht. Ohne diesen
Nachweis ist nichts überprüfbar und man kann nur herumraten, man kann Fehler nicht zurück verfolgen, und ob etwas korrekt übertragen
wurde oder nicht, ist auch nicht nachweisbar. Man kann dann glauben das die verwendeten Softwaren korrekt gearbeitet haben, aber
überprüfen kann man es nicht. Zur Beweissicherung ist das prinzipiell ungeeignet, denn das ist so, als ob ein Beweis wie ein
Fingerabdruck begutachtet wird und dann vernichtet wird, so das nichts überprüfbar ist. Das ist schlicht unseriös.
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Was kann man für ein Fazit ziehen? Wenn offensichtlich die Landesrichter die vorgelegten Gutachten (egal ob Englisch, deren deutsche
Übersetzung oder Deutsch) nur einfordern, um den Entscheidungen des Oberlandesgericht gerecht zu werden, diese Gutachten aber nicht
lesen und verstehen, bleibt das Auskunftsprozedere zur Herausgabe von Verkehrsdaten nach § 101 Abs. 9 UrhG auch weiter eine Durchwink-
Prozedur - nur dieses Mal mit beigelegten unbeachteten Gutachten. Deshalb sollte man weiterhin nicht auf die Akteneinsicht und
mögliche Beschwerdeverfahren am OLG verzichten.
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Autor: Steffen Heintsch für die Initiative AW3P
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