Erweitern bzw. Vorbeugen?

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Steffen
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Erweitern bzw. Vorbeugen?

#1 Beitrag von Steffen » Samstag 19. Dezember 2015, 06:53

Ist eine vorbeugende Unterlassungserklärung Ende 2015 immer noch zeitgemäß?


06:53 Uhr

Um die Thematik "Vorbeugen" oder "Erweitern" zu verstehen, muss man anfänglich klären, zu was man eine Unterlassungserklärung benötigt und für was diese überhaupt gut ist.

Eine Unterlassungserklärung ist eigentlich nichts anders als eine vertragliche Verpflichtung des Abgebenden ("Unterlassungsschuldner") gegenüber dem Empfangenden ("Unterlassungsgläubiger") eine bestimmte Handlung zukünftig nicht vorzunehmen. Das heißt, dass Wichtigste für den Empfänger ist, dass die Wiederholungsgefahr (Gefahr der möglichen Wiederholung einer bestimmten rechtswidrigen Handlung) ausgeräumt wird und damit gegenüber dem Empfangenden entfällt bzw. begünstigende Faktoren beseitigt werden.


Welche Anforderungen werden an einer Unterlassungserklärung gestellt?
  • a) Hauptziel -> Ausräumung der Wiederholungsgefahr
    b) Abgabewille -> ersichtliche Ernsthaftigkeit
    c) Strafbewehrung -> Vertragsstrafeversprechen
    d) Reichweite -> Anspruchsgegenstand uneingeschränkt abdeckend
    e) Bestimmbarkeit -> konkrete Verletzungshandlung beinhalten
    f) Schriftform -> ist von keiner Form abhängig

Generell gilt aber, dass mit Erhalt einer Abmahnung der beigefügte Entwurf eines möglichen Unterlassungsvertrages (originale Unterlassungserklärung bzw. originale Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung) nicht verwendet wird, sondern diese den Besonderheiten des jeweiligen Sachverhaltes angepasst bzw. abgeändert (modifiziert) wird. Deshalb spricht man im Allgemeinen von einer modifizierten Unterlassungserklärung (kurz "mod. UE"). Wichtig, der Abgebende ist allein verantwortlich wie weit bzw. wie eng er seine Erklärung abfasst, solange diese mod. UE die an ihr gestellten Anforderungen erfüllt.


Hinweis zur mod. UE:
  • a) stellt ein neues Angebot und bedarf einer expliziten schriftlichen Annahmeerklärung (Vertragscharakter, dauerhaft bindend)
    b) da diese unbefristet abgegeben wird, kann daher unbefristet angenommen werden
    c) im Allgemeinen kein Schuldanerkenntnis, da sie sich in die Zukunft richtet
    d) sollte der Inhalt beanstandet werden, sind diese Beanstandungen abzustellen

Der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch wird abgeleitet aus dem § 1004 Bürgerlichen Gesetzbuch (kurz "BGB") und bei Filesharing-Fälle legaldefinert in den §§ 97, 97a des Urhebergesetzes ("Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte"; kurz "UrhG"). Basierend auf ein bestimmtes rechtswidriges Verhalten, soll einmal diese Beeinträchtigung beseitigt ("Beseitigungsanspruch") bzw. bei einer weiteren andauernden Beeinträchtigung - bei Filesharing anzunehmen - die Wiederholung des bestimmten rechtswidrigen Verhaltens unterlassen werden (Unterlassungsanspruch).



Warum Vorbeugung oder Erweiterung?

Nach meiner Einschätzung wird in den wenigsten Fällen eine Privatperson ohne "Abmahnungshintergrund" eine vorbeugende modifizierte Unterlassungserklärung abfassen und abschicken. Das heißt, in der Regel hat die betreffende Person eine Abmahnung erhalten, in der neben den Forderungen nach vorgerichtlichen anwaltlichen Gebühren und Schadensersatz die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung eingefordert wird.

Die Erfahrungen machen deutlich, dass in bestimmten Konstellationen es nicht nur möglich, sondern auch ratsam ist, mit Erhalt einer Abmahnung entweder die eigene mod. UE zu erweitern, auf z.B. weitere Werke des abmahnenden Rechteinhabers, oder gegenüber anderen Rechteinhabern vorbeugende mod. UE's zu versenden.


Warum? Um eben in bestimmten Konstellationen Kosten von Folgeabmahnungen zu vermeiden.
  • a) Abmahnungen eines Chartcontainers (z.B. Top 100 German Singlecharts)
    b) Abmahnungen einer Sampler-CD (z.B. Bravo-Hits)
    c) Abmahnungen einer Serie aus einer Staffel ... oder
    d) einfach reinen Tisch zu machen.

BGH, Urteil vom 28. 2. 2013 - I ZR 237/11 - "Vorbeugende Unterwerfungserklärung"
  • (...) Der Beklagte hat mit der Übersendung der vorbeugenden Unterlassungserklärung den Versuch unternommen, von einer ihm rechtlich zu Gebote stehenden Möglichkeit Gebrauch zu machen, um seine Inanspruchnahme auf Unterlassung durch Mandanten der Klägerin zu verhindern und die damit für ihn verbundenen Kosten zu vermeiden. (...) Die Übersendung einer vorbeugenden Unterlassungserklärung verursacht aufseiten der Rechteinhaber nicht allein Aufwand und Kosten. Den Rechteinhabern wird dadurch vielmehr auch ein rechtlicher Vorteil verschafft. Sie haben die Möglichkeit, das Angebot zum Abschluss des angetragenen Unterlassungsvertrags unbefristet anzunehmen (...) Der Empfänger einer vorbeugenden Unterlassungserklärung ist zudem nicht verpflichtet, ein Angebot zum Abschluss eines Unterlassungsvertrags anzunehmen. (...)

Sicherlich findet man auf diversen Anwaltsseiten im Internet, Formulierungen wie:
  • (...) Falls wir für Sie eine erweiterte modifizierte Unterlassungserklärung (mod. UE) abgegeben haben, können Sie auch ggf. eingehende Filesharing-Folgeabmahnungen zur Überprüfung einreichen. Falls diese von der bereits abgegebenen erweiterten modifizierten Unterlassungserklärung erfasst werden, weisen wir die Folgeabmahnung ohne Zusatzkosten zurück. Hierfür genügt ein kurzes Anschreiben an die Gegenseite. In Extremfällen können wir für Sie auch sog. vorbeugende Unterlassungserklärungen abgeben. Dieses Vorgehen sollte insbesondere bei Filesharing-Abmahnungen, die sog. Chartcontainer oder Sampler erfassen, in Betracht gezogen werden. (...)

Innerhalb der Verbraucherforen ist hierzu die Diskussion kontrovers. Die einen meinen, dass generell keine geforderte Unterlassungserklärung erweitert wird oder man gar freiwillig vorbeugt - es sollten "keine schlafende Hunde geweckt werden" - die anderen wieder raten dazu. In einem aktuellen Beispiel aus dem Verbraucherforum wollte ein Abgemahnter kostenpflichtige Folgeabmahnungen abwehren, indem er statt den drei streitgegenständlichen Folgen bezüglich der Staffel "X" einer TV-Serie seine mod. UE erweitern wollte auf alle Staffel und allen beinhaltete Serien. Und aktuell wurden immerhin 6 Staffeln mit gesamt 99 Folgen produziert. Was ist nun richtig, was sollte man tun?

Es gibt hierzu kein Patentrezept oder gar eine gefestigte Vorgehensweise. Im weiteren gehe ich auch nur von dem Fall aus, das der Betreffende mit ohne Anwalt reagiert und eine Erweiterung oder Vorbeugung selbst vornehmen möchte. Natürlich verstehe ich, das viele Abgemahnte ihr Geld sparen wollen für einen - nach ihrer Ansicht - teuren Anwalt und sich lieber in einem Verbtaucherforum für "Lau" Hilfe versprechen. Nur, wenn man schon gelesen hat, dass man selbst für den Inhalt und dessen Abfassung verantwortlich sei, sollte man schon wissen, was man da tut sowie welche Konsequenzen oder Risiken einhergehen.

Eine abgegebene mod. UE - egal ob die geforderte aus einer Abmahnung, eine erweitert oder vorbeugende - wird bei schriftlicher Annahmeerklärung zu einem Vertrag und ist dauerhaft bindend. Das heißt, man ist nicht - wie fälschlicherweise noch oft zu lesen ist - für die Dauer von 30 Jahren gebunden, sondern das ganze Leben. Punkt. In keinem anderen Bereich fühlen sich Betroffene befähigt, jetzt unbedarft und ohne anwaltlicher Überprüfung einen zukünftigen Vertrag abzugeben, mit teilweise den falschen Vorstellungen sowie ohne Wissen über die Konsequenzen und Risiken.

Natürlich kann ich - jetzt komme ich auf das Beispiel aus dem Forum zurück - bei einer Abmahnung hinsichtlich "Folge 1, 3, 5 aus Staffel 4" (als Beispiel) die ursprünglich eingeforderte Unterlassungserklärung erweitern. Keine Frage. Nur macht es definitiv keinen Sinn die Erweiterung auf alle 6 Staffeln mit insgesamt 99 Folgen vorzunehmen und das noch freiwillig. Weil einfach das Risiko zu hoch ist, das man jetzt irgendwann in der Zukunft gegen das in der erweiterten mod. UE abgegebene Vertragsstrafeversprechen im Wiederholungsfall verstößt. Denn dann wird neben einer möglich neuen Abmahnung, eine teure Vertragsstrafeklage (ca. 5.000,- EUR aufwärts, Landgericht, Anwaltszwang) denkbar. Und wenn man davon ausgeht, dass zumindest nach den Angaben der Betroffenen diese als abgemahnter Anschlussinhaber selbst nicht als Filesharer in Betracht kommt, kann dieses durchaus sich wiederholen. Also sollte man entweder Erweitern oder Vorbeugen mit Sinn und Verstand. Das bedeutet, nur dass was man 100%ig kennt und in Maßen, statt in Masse.

Wie bei der Erweiterung kann es auch bei einer Vorbeugung zu Problemen kommen, die der Abgebende sich so nicht bewusst ist. Ich gehe wie schon erwähnt auch nur für den Fall aus, dass der Betreffenden ohne anwaltliche Überprüfung erweitert oder vorbeugt. Denn ansonsten würde der eigene Anwalt auf die Probleme aufmerksam machen.

Man erweitert oder beugt vor, man erhält aber trotzdem eine kostenpflichtige Abmahnung bezüglich der Erweiterung oder Vorbeugung. Dieses ist gar nicht so abwegig bzw. selten. Das kann eine Menge Gründe haben. Angefangen von Überscheidungen. Der Abmahner versendet die kostenpflichtige Abmahnung bevor ihm die erweiterte oder vorbeugende mod. UE zugestellt wurde. Auch gibt es teilweise Rechtsauffassungen, das wenn man im Innenverhältnis zur Abmahnung beauftragt wurde - trotz erweitere oder vorbeugende mod. UE - kostenpflichtig abmahnen darf. Dann werden auch gern erweiterte oder vorbeugende mod. UE's ignoriert usw. Eine entscheidende Frage, wer erhält die vorbeugende mod. UE. Dies ist ganz einfach derjenige, der die Rechte besitzt, also der Rechteinhaber oder Rechteverwerter. In vielen Fällen ist aber die konkrete ladungsfähige Anschrift nicht bekannt oder es wird die Annahme verweigert. Versendet man bei unbekannter Anschrift des Rechteinhabers bzw. Rechteverwerters die vorbeugende mod. UE an den möglichen Abmahner, kann es zu weiteren Problemen kommen. Einmal kann der Anwalt nicht beauftragt worden sein. Andermal versendet man an den richtigen Rechteinhaber, dieser hat aber jemand anderem Rechte zur Verwertung eingeräumt, die dieser wieder abmahnt, ohne in einer Datenbank zu stehen. Nicht der ansonst bekannte CD-/DVD-Hersteller mahnt ab, sondern plötzlich der Komponist. Wichtig auch, dass man zwischen den Unterlassungsanspruch und den Schadensersatzanspruch trennen muss. Es kann die anwaltlichen Gebühren einer Abmahnung wegfallen, da aber der Abmahner nicht weiß, wer der wahre Täter ist, den vermeintlichen Schadensersatz noch klageweise geltend machen. usw. usf.

Jetzt wird der Abgebende sofort ohne anwaltliche Hilfe überfordert sein, um weiter richtig zu reagieren. Jetzt kann auch kein Verbraucherforum mehr etwas "empfehlen", da man unerlaubte Rechtsberatung in einem Einzelfall tätigen würde.


Summa summarum

Eine Erweiterung bzw. Vorbeugung macht in den vorbenannten Konstellationen nach wie vor Sinn und ist nicht antiquiert. Bevor man aber wild erweitert oder vorbeugt, sollte man sich umfassend informieren, insbesondere zu den möglichen Konsequenzen und Risiken und wenn man mit ohne Anwalt reagieren will. Viel hilft nicht immer viel. Natürlich wird in speziellen Konstellationen (z.B. Chartcontainer, Sampler, TV-Serie) es Sinn machen zu erweitern oder gar vorzubeugen.
  • 1. Beachten Sie die Anforderungen an einer Unterlassungserklärung.
    2. Wenn man vorbeugt, sollte die mod. UE alle möglichen Haftungsarten abdecken.
    • a) Täter / Teilnehmer
      b) Störer / Ermöglichungshandlung Dritter
    3. Nur 100%ig Bekanntes
    4. Ist man sich nicht über die Abfassung der mod. UE sicher, lässt man die Finger davon oder muss einen Anwalt beauftragen
    5. Welcher Unterlassungsanspruch besteht (Bsp.: BGH-Entscheid: "Sommer unseres Lebens") oder ist die Abgabe überhaupt nicht notwendig (Bsp.: BGH-Entscheide: "Morpheus" oder "BearShare")
Auch wenn es niemand gern hören wird und alle - trotz erstmaligen damit Befassens - studierte Juristen sind, ist die Abfassung der mod. UE (z.B. wie weit bzw. wie eng) eine komplizierte Materie und setzt anwaltliche Überprüfung voraus. Aber natürlich, diese anwaltliche Überprüfung kostet Geld und dies möchte sich jeder sparen und allein herumwurschteln. Beachten Sie, mit Annahmeerklärung wird die erweiterte oder vorbeugende mod. UE zu einem Vertrag. Informieren Sie sich zu den möglichen Konsequenzen und vor allem Risiken. Denn letztendlich sind Sie allein für den Inhalt und Abfassung verantwortlich und nicht irgendein Musterschreibenbereitsteller.


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Steffen Heintsch für AW3P

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